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Es ist zum verrückt werden…

Würden Sie sich selbst als voll entwickelte und funktionsfähige Person bezeichnen? Ich bin mir fast sicher, dass die meisten dies umgehend mit der Vorstellung eines verantwortungsvollen Mitglieds der Gesellschaft verbinden, welches auch in Krisenzeiten leistungsbereit und ohne Krankheitsabsenzen ihren Job erfüllt.

Das hat Carl Rogers, einer der Begründer der personenzentrierten Beratung damit aber nicht gemeint.

Eine solche Person ist nach ihm vielmehr jemand, der fähig ist, all seine Gefühle zu erleben und vor keinem dieser Gefühle Angst hat.

Jemand, der damit beschäftigt ist, sein eigenes Beweismaterial zu finden und vollkommen mit dem Prozess beschäftigt ist, sich selbst zu sein und zu werden.

simone hengartner

Es ist zum verrückt werden, dass wir die Marsmission planen und die Entwicklung künstlicher Intelligenz vorantreiben, während wir uns im Umgang mit unseren Emotionen häufig noch wie Kleinkinder in der frühen Entwicklungsphase benehmen.

Menschen, welche in unserer emotionsregulierten Gesellschaft ihren Gefühlen spontan Ausdruck verleihen oder Dinge tun, die nach aussen völlig zweckfrei erscheinen, werden manchmal als leicht verrückt taxiert.

Menschen sterben infolge ihres Organismus, der nicht mehr funktionsfähig ist. Menschen sterben auch an den Folgen eines Geistes, der in der Dunkelheit gefangen ist und die Schönheiten im Leben nicht mehr erkennen kann. In der tibetischen Psychologie wird destruktiven Denkprozessen und den daraus resultierenden negativen Emotionen grosse Aufmerksamkeit geschenkt. Schüler*innen lernen dort, sich eine Emotion wie Trauer oder Angst als Person vorzustellen und sich in sie hineinzuversetzen, um herauszufinden, womit sie genährt werden möchte.

Diese Kolumne widme ich meinem Vater. Sein Geist war optimistisch und fröhlich, während sein Herz zu müde geworden ist. Ich halte mich daran, was er mich gelehrt und selbst vorgelebt hat: Ich ziehe die Schönheit in den Dingen der Nützlichkeit vor. Ich bin nämlich nicht verrückt. Und wie geht es Ihnen?


(erschienen im Magazin «Die Ostschweiz», No. 2 / 21)

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KONSENSE l Simone Hengartner Thurnheer
MSc FHO in Sozialer Arbeit l Dipl. Sozialpädagogin FH
+41 78 645 80 32 l sh@simonehengartner.ch l www.simonehengartner.ch

Impressum l Realisation gmürdesign Grafikbüro Uzwil

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